Das Streben nach Imperfektion.
Laufen muss nicht perfekt sein, sondern echt.
Wir leben in einer Welt der Selbst-Optimierung. Zeitmanagement-Seminare, Selbstvermarktungs-Kurse und Potentialanalysen gehören im Arbeitsleben schon lange zur gängigen Praxis. Dieses Streben nach Perfektion hat inzwischen auch den Hobbysportler erreicht. Mit Laktattests, Laufbandanalysen, Nahrungsergänzungsmitteln und gezielter Trainingssteuerung möchte heutzutage auch der Läufer von nebenan das Beste aus sich herausholen. Obwohl – oder gerade weil – es um nichts anderes geht als das eigene Ego. Denn, Hand aufs Herz, ob wir nun bei einem Lauf auf Platz 2.365 oder Platz 1.278 landen, interessiert außer uns selbst keinen Menschen.
Warum also dieses Streben nach immer schnelleren Zeiten, ökonomischeren Laufstilen und dem immer perfekteren Körper? Vermutlich ist es das menschlichste Bedürfnis überhaupt. Dies war es, was uns zum "Herrscher der Erde" machte. Wie wir an vielen Stellen unserer modernen Welt erkennen müssen, kann das auch nach hinten losgehen. Und auch bei uns Läufern ist das Streben nach Perfektion nicht immer der Schlüssel zum großen Läufer-Glück. Das habe ich selbst am eigenen Leib erfahren müssen.
Vor etwa zwei Jahren bin ich diesem Selbst-Optimierungs-Wahn verfallen. Headlines
wie „Der perfekte Laufstil“, „Lauf-Ökonomie“ oder „Die optimale Lauftechnik“
verführten mich dazu, meinen Laufstil zu hinterfragen. Meine krummbeinige Hopser-Technik war weit entfernt von
den raubkatzenartigen Lauf-Sprüngen der Profis. Und da ich ja schneller,
besser, schlicht: "perfekter" werden wollte, habe ich gelesen, trainiert und
umgestellt, was das Zeug hielt. Vorfußlauf, Mittelfußlauf, Barfußlauf schienen
die Zauberworte auf dem Weg ins Laufstil-Paradies. Aber wer schon
einmal den Weg einer Lauf-Umstellung eingeschlagen hat, der weiß: er ist
verdammt steinig. Und steil. Mit einem einfachen „Simsalabim“ kommt man nicht
in den Profi-Himmel. Es bedarf jahrelanger Übung, etlicher Fehlschläge
und noch mehr Verteufelungen der eigenen Unfähigkeit, bis der Körper die neue Technik umsetzen kann. Bei mir kamen
noch etliche „Muskelkater des Todes“ hinzu. Ich hatte das Gefühl, ich müsse das Laufen neu erlernen und hasste zeitweise jeden Kilometer. Aber ich bin ja ehrgeizig. Also selbst-optimierte
ich weiter. Irgendwann klappte es auch mit der Form, aber der Spaß blieb auf der Strecke.
Bei einem meiner letzten Läufe, als trotz puma-artigem Profi-Lauf, der neuesten GPS-Uhr und einem perfekt abgestimmten Trainigsplan wieder Knie, Hüfte, Schienbein und Beinrückseite schmerzten, wurde mir klar: Die schnelle Umstellung - man halte 2 Jahre gegen 35 - wollte meinem Körper einfach nicht bekommen.
Und schneller war ich auch nicht geworden. Eher langsamer, da mich die neue Technik extrem viel Kraft kostete, aber noch keinen wirklichen Vortrieb gab. Doof, dachte ich mir. So war das nicht geplant gewesen. Also entschloss ich mich, den Weg meiner persönlichen Selbstoptimierung zu verlassen. Ich legte meinen Trainingsplan beiseite, versteckte meine GPS-Uhr unterm Pulli und näherte mich wieder meinem natürlichen Laufstil an.
Vielleicht gleite ich nicht gazellenartig durch die Wälder, vielleicht gewinne ich keinen Blumentopf mit meiner Lauferei. Aber, verdammt, es ist MEINE Lauferei. Und ich liebe sie, genau so, wie sie ist: hochgradig unperfekt!