Egal, was passiert. Am Ende werde ich laufen.
Wenn es nicht mehr läuft, hast du genau zwei Möglichkeiten: rumheulen und in Selbstmitleid versinken oder aufstehen, deine Krone richten und dir neue Wege suchen.
Das Leben ist nicht fair. Und es ist auch kein Ponyhof, Wunschkonzert oder „Schlotzer“, wie wir im
Schwäbischen zu sagen pflegen. Jeder hat sein Päckchen zu tragen. Und meines
ist vergleichsweise klein, wenn man sich all das Leid auf dieser Welt anschaut.
Und dennoch: ich würde lügen, wenn ich sage, dass meine Knieprobleme spurlos an
mir vorbeigegangen sind. Um ehrlich zu sein: sie haben mich ganz schön aus der (Lauf-)Bahn
geworfen.
Wenn man daran gewöhnt ist, vor dem Frühstück einen Halbmarathon zu laufen, bei Wettkämpfen ans Limit zu gehen und sich über die eigene Sportlichkeit zu definieren, kann es einem ganz schön den Boden unter den Füßen wegziehen, wenn auf einmal nichts mehr läuft. Wenn jeder Gehschritt schmerzt und man nur noch mit Mühe die Treppe hinunterkommt.
Mir hat es nicht nur den Boden weggezogen, sondern auch meine Wände, mein Dach, meine Fenster und meinen wunderschön bepflanzten Sonnenbalkon. Kurz: mein ganzes Haus ist eingestürzt. Das Haus, das mir Halt gegeben hat. Das Haus, in dem ich mich geborgen gefühlt habe. Mein Heim, mein Wohlfühlort, meine Glücks-Welt, meine Therapie, mein Laufen – plötzlich zusammengefallen wie ein Kartenhaus. Und ich darunter begraben.
Am Boden, im Dunkeln, tauchten Ängste auf. Übers Altwerden, das Kranksein, das „Nie-mehr-Laufen-Können.“ Sinnlosigkeit, Leere, Traurigkeit, Zukunftsangst –ich habe alles gefühlt. Vermutlich nennt man das Depression. Oder Midlife-Crisis. Oder Lauf-Entzug. Egal, welchen Namen man findet: es war mein persönlicher Albtraum.
Doch dann, ganz am Boden zwischen meinen Scherben aus Verletzlichkeit, Angst und fehlendem Selbstwert, hab ich sie wiedergefunden: meine Wettkampfsau. Vorwurfsvoll schaute sie mich an: „In was für einem Schlammloch bist du denn gelandet? Was fällt dir ein, dich in deinem eigenen Selbstmitleid zu suhlen? Hoch auf die Beine und los geht’s! Ausgraben! Hat bei den Hindernisläufen doch auch immer funktioniert…“
Das war das Stichwort. Und der Startschuss für ein Rennen der ganz anderen Art. Ein Rennen, das ein Innehalten ist. Ein Rennen, bei dem es nicht um Geschwindigkeit geht, sondern um Geduld und darum, einen Schritt langsamer zu machen. Und doch so viel anstrengender als all meine bisherigen Wettkämpfe.
Ich habe gelernt, achtsamer zu sein. „Nein“ zu sagen. Nicht nur im Sport, sondern auch im Beruf und privat. Liebevoller mit mir und meinem Körper umzugehen. Bislang ging es darum, Leistung zu bringen, immer Vollgas, immer vorne. Jetzt geht es darum, glücklich zu sein. Und dankbar. Für alles, was wieder geht. Und hoffentlich auch irgendwann wieder läuft.
Vielleicht ist es so. Vielleicht muss man manchmal brechen, um sich wieder neu zusammenzusetzen. Zu einem stärkeren, stabileren Ich. Zu einem Haus, das zu einem Tempel wird.
Und auch wenn es ein langer und harter Weg ist, ein Weg, der mich noch viele Tränen kosten und Rückschläge erfahren lassen wird - ich kenne das Ziel: ich werde wieder laufen. Ob es Monate dauern wird oder Jahre. Am Ende werde ich laufen.