MARATHONS


EINEN MARATHON...

...läuft man 20 Kilometer mit den Beinen, 20 Kilometer mit dem Kopf und 2,195 Kilometer mit dem Herzen.

Er ist und bleibt: die Königsklasse des Laufens. Hochgefühl, Verzweiflung, Spaß, Herausforderung - der Marathon kann dir all das geben, und noch viel mehr. Er zeigt dir, wer du bist - und wer du nicht bist. Er bringt dich an deine Grenzen - und darüber hinaus. Er kann dein bester Freund sein - oder dein schlimmster Gegner. Doch eins ist gewiss: Wenn du nach 42,195 Kilometer die Ziellinie überquerst, ist das ein Gefühl, das du niemals vergessen wirst. Ich durfte dieses Gefühl bereits 16 Mal erleben:
MÜNCHEN 2012.
"Ich will doch nur spielen!"

Auf einmal war er da, dieser verrückte Gedanke: Ich werde den München Marathon laufen! Das war am Donnerstag. Am Freitag habe ich mir ein warmes Lauf-Oberteil gekauft, am Samstag meine Anmeldung abgegeben und am Sonntag stand ich an der Startlinie.

Ziemlich fehl am Platz kam ich mir vor zwischen all diesen Profi-Läufern in ihren Spandex-Hosen, mit umgeschnallten Trinkbatterien, aufgeladenen Gel-Tanks und geölten Oberschenkeln. Damals wusste ich noch nichts von Trainingsplänen, Lauf-Strategien oder Energy-Gels. 

Ich bin einfach losgelaufen. In meinen ausgelatschten Turnschuhen, meinen alten Schlabberhosen, mit umgebundener Jacke und vier Kräuterbonbons in der Hosentasche. Die hab ich beim Laufen gelutscht, jede Stunde eins. Getrunken habe ich bis Kilometer 21,1 gar nichts, dann nur etwas Wasser. Ich habe die Stimmung aufgesogen und mich gefreut, dass ich laufen darf. Und da ich nichts vom Mann mit dem Hammer wusste, hab ich ihn nicht getroffen. Und er mich auch nicht.

Mit dem breitesten Grinsen im Gesicht bin ich nach 3:55h über die Ziellinie getänzelt, ganz spielerisch. Ich konnte es kaum glauben: Ich war ein Marathoni! Drei Monate zuvor hatte ich behauptet, ich würde nie einen Marathon laufen. Seltsam, wie das Leben manchmal so spielt. Ein schönes Spiel. Ab sofort wollte ich es öfter spielen.


WIEN 2013.
"Burn, Motherf***, burn!"

Auch mein zweiter Marathon begann mit einem Spiel. Einem Gewinnspiel. So hatte ich den Startplatz für den Wien Marathon im April 2013 gewonnen. Fürs Trainieren blieb kaum Zeit und da ich ein Winter-Lauf-Muffel bin, stand ich in Wien am Start, ohne einen einzigen Draußen-Lauf-Kilometer absolviert zu haben. Lediglich ein wenig Laufband-Training hatte ich in den Beinen.

Eine Tatsache, die ich ab Kilometer 28 zutiefst bereuen sollte. Ab da haben meine Oberschenkel gebrannt,  als stünden sie in Flammen. Der Gegenwind in den langgezogenen Wiener Straßen heizte das Feuer zusätzlich an.

Zum Glück wurde auch mein Ehrgeiz entfacht und ich entdeckte etwas, das mich seitdem bei vielen Läufen begleitet hat: meine innere Wettkampfsau. Die ehrgeizige Schwester des inneren Schweinehunds trieb mich an, bis ich nach 4:01h im Ziel war. Immerhin. Sie sorgte jedoch auch dafür, dass ich mit dieser Zeit nicht zufrieden war. Beim nächsten Marathon wollte ich schneller laufen. Ich hatte Ehrgeiz-Blut geleckt.


MÜNCHEN 2013.
"Wettkampfsau on Fire."

Dass ich ein zweites Mal beim München Marathon an den Start ging, war - wieder einmal - nicht geplant. Ein Lauf-Kollege hatte mich gefragt, ob wir den Halbmarathon zusammen laufen. Das war - wieder einmal - am Donnerstag vor dem Lauf.

Als Vorbereitung für den New York City Marathon, der drei Wochen später stattfinden sollte, hielt ich das für keine schlechte Idee. Doof nur, dass die Plätze bereits vergeben waren. Damit zog sich mein Lauf-Kollege aus dem Projekt zurück und ich meldete mich kurzerhand für den Marathon an. Ich und meine Wettkampfsau witterten die Chance, in diesem Jahr noch meine Zeit zu verbessern.

Wieder einmal war es ein wunderschöner Herbsttag und es lief einfach fantastisch. Ohne einmal auf die Uhr zu schauen - ich hatte gar keine dabei - lief ich nach Bauchgefühl in 3:44:02h über die Ziellinie. Ich und meine Wettkampfsau waren zufrieden. Nun konnte der New York Marathon kommen!

NEW YORK 2013.
"Run and the City."

Einmal beim New York City Marathon starten - der Traum eines jeden Läufers. Für mich sollte er am 3. November 2013 in Erfüllung gehen. Bis dahin war es ein weiter Weg - ein Ultra-Bewerbungs-Marathon sozusagen. Long Story short: ich hab gebastelt, gefilmt, fotografiert, gepostet, geschrieben, Freunde aktiviert, Absagen kassiert, weitergemacht, noch mehr gebastelt, noch mehr Freunde aktiviert - und schließlich war der 7. August, der Tag der Auslosung.

Im Schlafanzug saß ich mit dem Labtop auf dem Schoß auf meiner Couch und hatte bereits wunde Finger vom "Aktualisieren"-Drücken. Vier Plätze waren zu vergeben. Plätze 1 und 2 waren bereits verlost. Und dann plötzlich, um 21:41 Uhr, erschien mein Bild auf der Seite. Ich konnte es nicht glauben: ich hatte gewonnen! Ein Startplatz für den New York Marathon plus fünf Tage New York, Hotel am Times Square und Flug - das Ganze mit Begleitung. BÄÄM!!!

Das Lauf-Abenteuer konnte also beginnen: 50.000 Starter, vielfach so viele Zuschauer, eine große Lauf-Party von Anfang bis Ende - und das in einer der geilsten Städte der Welt. Ich war so überwältigt von all den Eindrücken, dass ich es kaum verarbeiten konnte. Ich weiß noch, dass ich Muskelkater in den Backen hatte vor lauter Grinsen. Die Oberschenkel brannten auch wieder ordentlich, denn die Strecke mit den vielen Brücken und den letzten harten Anstiegen im Central Park hat es in sich.

Dafür war der Zieleinlauf nach 3:55h umso ergreifender und die Tage im Big Apple mit dem Tiger Balm Team Dietmar, Stephan, Sven, Selma und Kai-Michael einfach unvergesslich. "If I can make it there, I'll make it anywhere" - ab sofort mein Leitspruch.

PARIS 2014.
"Enttäuschung und Tränen."

Es musste kommen, wie es kommen musste: ich wurde übermütig. Wenn ich meine Zeit ohne viel Training von 4 Stunden auf 3:44h verbessern konnte, dann sollte es ein Leichtes sein, die nächste Hürde zu knacken: die 3:30h. Was für eine Fehleinschätzung! Heute, als erfahrenere Marathon-Läuferin, weiß ich das. Aber damals, als noch bei jedem Lauf Rekorde fielen, hielt ich mich für unverwundbar und das Ziel für absolut realistisch.

Ich begann also zu trainieren wie eine Irre - ohne Kopf und Verstand. Und vor allem ohne Plan. 21, 25, 30 Kilometer auf dem Laufband - teilweise an zwei Tagen hintereinander - waren keine Seltenheit und auch kein Problem. Das Problem kam erst am Marathon-Tag. Ich lief mit einem 5er-Schnitt los, den 3:30h-Pace-Maker immer im Blick, genau wie meine Uhr, auf die ich alle paar Minuten starrte. Das Tempo war mir von Beginn an zu schnell, mein Kopf zu heiß und der Puls zu hoch. Aber egal, ich hatte ja ein Ziel vor Augen. Also immer weiter im Takt.

Bei Kilometer 21 kam der Takt dann ins Stocken. Die Luft war raus und ich den Tränen nahe. Ich musste das erste Mal gehen. Mit jedem Geh-Schritt und mit jedem Läufer, der an mir vorbeizog, zerfiel mein Traum von der neuen Bestzeit in Tausend schmerzende Stücke. Bei Kilometer 30 fiel ich meiner Mom in die Arme. Ich konnte nicht mehr. "Willst du aufhören, Ela-Maus?" fragte sich mich. "Nein!", meine Antwort.

Ich lief weiter - meine strampelnde und jammernde Wettkampfsau hinter mir herschleifend. Etliche Gehpausen und 42,2km später trottete ich dann endlich ins Ziel. Weinend und enttäuscht. Ein Asthmaanfall beendete diesen für mich sehr schmerzvollen, aber auch lehrreichen Marathon. Nie wieder, das schwor ich mir, wollte ich mich so unter Druck setzen und meinen Ehrgeiz vor den Spaß am Laufen stellen. Nie wieder wollte ich beim Zieleinlauf weinen - außer vor Glück. Ein Vorsatz, an den ich mich bis zum heutigen Tag gehalten habe.

BERLIN 2014.
"Laufen ohne Druck, aber mit Knie."

Das kopflose Training sollte noch ein langes Nachspiel haben. Mein linkes Knie meldete sich immer häufiger und plötzlich war er da, der Schmerz links außen. Als hätte mir jemand ein Messer ins Knie gerammt. Mein Verdacht bestätigte sich schnell: IT-Band-Syndrom. Meine erste Laufverletzung. Willkommen in der Realität, Frau Dannwolf! Und in der Midlife-Crisis. Keine Übertreibung. Das "Nicht-laufen-Können", das Gefühl, dass der Körper nicht mehr das macht, was ich will, machte mich fertig. Das Laufen fehlte mir so sehr. Aber es half alles nichts. Keine Trainingskilometer in dieser Saison. Wie ein Drogensüchtiger auf Entzug tröstete ich mich mit ein paar kleinen Wettbewerben - kurze Läufe gingen einigermaßen.  

Und dann, so etwa im August,  hat das Schicksal wieder zugeschlagen: Ich gewann einen Startplatz für den Berlin-Marathon. Nun ja, was soll ich sagen? Natürlich bin ich an den Start gegangen. Ich wollte es ausprobieren und schauen, wie weit ich komme.

Das Wetter war perfekt, genau wie meine Laune und die Stimmung an der Strecke. Ich war so dankbar für jeden Meter, den mein Knie mich laufen ließ. Und da ich in einer langsameren Startgruppe startete - das Anstehen an der Toilette hatte zu lange gedauert - konnte ich die ganze Strecke überholen. Ein Traum für die Psyche. Es stimmte also alles an diesem 28. September 2014. Und so lief Dennis Kimetto Weltrekord in 2:02:57h und ich finishte in 3:44:32h - vermutlich waren wir beide gleich stolz auf unsere Leistung. Danach konnte ich keinen Schritt mehr gehen, aber egal: ich hatte es geschafft! Wahnsinn! Im Ziel weinte ich wieder - dieses Mal vor Glück.


MALLORCA 2014.
"Hitzeschlacht auf der Insel."


Rückblickend betrachtet war es ein totaler Irrsinn, aber das Laufjahr 2014 war für mich noch nicht zu Ende. Denn die Anmeldung für den Mallorca Marathon war schon lange abgeschickt und die Reise auf die Insel gebucht. Also versuchte ich die drei Wochen, die zwischen dem Berlin und dem Mallorca Marathon lagen, bestmöglich zur Regeneration zu nutzen.

Nur einen Lauf absolvierte ich in dieser Zeit, doch bei diesem kam es ganz dick: Mitten im Wald stach es mir so ins Knie, dass ich nicht mehr weiterlaufen konnte. Selbst gehen war eine Herausforderung. Zum Glück war ich nicht alleine, sodass ich mit dem Auto abgeholt werden konnte. Wieder Tränen. Dieses Jahr war einfach nicht mein Jahr - aber die Probleme waren selbstgemacht. Lauf-Pausen waren halt nicht so mein Ding und die innere Wettkampfsau wollte gefüttert werden.

Also ging ich am 19. Oktober bei meinem mittlerweile 7. Marathon an den Start. Bei wolkenlosem Himmel und angesagten 30 Grad brannte die Sonne bereits morgens um 9 Uhr erbarmungslos vom Himmel. Dank meines Laufpartners Stephan, der mich in unter 3:40h ins Ziel führen sollte, lief es zunächst blendend. Bis Kilometer 32. Da kam der Mann mit dem Feuerhammer und briet mir dermaßen eins über die Rübe, dass ich dachte, mein Schädel explodiert. 

Die letzten Kilometer entlang der Küste zogen sich ins Endlose. Ich konnte gar nicht so viel trinken, wie ich Durst hatte. Und die Hitze, die von den schwarzen Holzpanelen nach oben strahlte, schien mich verbrennen zu wollen. Völlig am Ende meiner Kräfte und mit keinem einzigen Körnchen mehr im Körper, überquerte ich die Ziellinie. Das Gemeinste dabei war der letzte Kilometer, bei dem man am Ziel vorbei nochmal eine lange Runde drehen musste. Noch nie hatte ich mir so sehr gewünscht, eine Abkürzung nehmen zu können.

Doch wie so oft: Im Ziel waren alle Schmerzen vergessen und ich freute mich ohne Ende. Zwar hatte ich die 3:40h nicht geknackt, jedoch war ich mit 3:42:52h nicht nur persönliche Bestzeit gelaufen, sondern hatte auch Platz 19 bei den Frauen belegt. Die restlichen Sonnentage auf Malle konnten ich und meine 
Wettkampfsau also in vollen Zügen genießen.


MÜNCHEN 2015.
"Wenn 9 Sekunden die Welt bedeuten."


Für 2015 hatte ich mir eins fest vorgenommen: Achtsamer mit meinem Körper umzugehen. Konkret bedeutete dies: Laufpause bis Mitte März, kein Frühjahrs-Marathon und ein sauberer Trainingsplan, um auf die 3:30h hinzutrainieren. Bis zum Start des Trainingsplans konzentrierte ich mich auf kurze Läufe und konnte mir einige Podestplätze bei kleineren Wettkämpfen erlaufen sowie meine Bestzeiten auf 10km (42:18) und 5km (20:59) verbessern. Das tat gut und belastete das Knie nicht so sehr.

Mitte Juli ging's dann los. Ich hielt mich sehr genau an den Plan, konnte jedoch nicht verhindern, dass sich mein Knie wieder meldete. Also reduzierte ich von fünf Mal Laufen die Woche auf vier Mal und schließlich auf drei Mal. Die restlichen Trainingstage verbrachte ich auf dem Spinningrad, dem Crosstrainer oder beim Krafttraining. Am 11. Oktober war es dann soweit.  Das Wetter war durchwachsen, aber zumindest regnete es nicht. Ich startete etwas langsamer und zog dann das Tempo auf 12km/h an.

Mir ging es gut, die Beine liefen locker und ab dem Halbmarathon hatte ich einen netten Mit-Läufer, mit dem ich plaudern konnte. Hart waren lediglich die letzten drei Kilometer. Da war er mir auf einmal auf den Fersen, der Mann mit dem Hammer. Ich rannte gegen die aufsteigende Müdigkeit und die Uhr an, die immer schneller die Minuten runterzählte, je langsamer meine Beine wurden.

Inzwischen war es mir egal, wann ich ankam - ich wollte nur noch ankommen. Und dann, nach sich ins Endlose ziehenden Minuten, kam endlich der Zieleinlauf ins Stadion. Auf der letzten Runde, begleitet von den Schreien und dem Applaus der Zuschauer, lief ich, als ginge es um mein Leben. Mir war heiß und kalt gleichzeitig, aber ich ließ nicht locker. Und kam schließlich ins Ziel - in 3:29:51h. Noch nie in meinem Leben hatten 9 Sekunden so eine große Bedeutung für mich.

LAS VEGAS 2015.
"Run & Rain in the Desert."

Der Marathon in Las Vegas am 15. November sollte meine Belohnung für all die harten Trainingswochen sein. Ein Marathon nur zum Spaß und ohne Zeitdruck. Einfach laufen und die Glitzerstadt genießen. Dabei hatte ich mir angenehme Temperaturen um die 20 Grad vorgestellt. Die Realität sah anders aus: Sturmwarnung und Regen. Trotzdem hatte ich den Spaß meines Lebens.

Beim Start hatten wir noch Glück mit dem Wetter. Etwas kühl und windig war's, dabei aber fast wolkenlos. So starteten wir in einen traumhaften Sonnenuntergang. Und als sich dann allmählich die Nacht über Sin City legte, begann sie zu glitzern wie ein buntes Sternen-Meer. Die Szenerie war atemberaubend, die Kostüme der Läufer so verrückt wie die Stadt selbst und das Publikum einfach fantastisch.

Dann kam der Regen. Von durchschnittlich drei Regentagen im November hatten wir den einen erwischt. Dazu ein Sturm, dass es mich fast davonwehte. Dennoch war ich bester Laune und dank des harten Trainings in den Wochen zuvor auch läuferisch stark. Also zog ich meine Mütze noch ein wenig tiefer ins Gesicht, stemmte mich gegen den Wind und lief heroisch weiter. Zum Glück hatte ich einen Trinkrucksack dabei, denn die Verpflegungsstationen waren teilweise, wie einige Läufer, dem Sturm zum Opfer gefallen.

Was für ein Abenteuer. Und was für ein Gefühl, von den dunklen und leeren Außenbezirken wieder zurück auf den hell erleuchteten und überfüllten Strip zu kommen. Was eine Party! Beim Zieleinlauf klatschte ich Hände ab, tänzelte von links nach rechts und hielt dann nach 3:47:03h meine bisher geilste Finisher-Medaille in den Händen: Ein Spielautomat in Hosentaschen-Format. Ich fühlte mich, als hätte ich soeben den Jackpot geknackt.

BERLIN 2016.
"Persönliche Pace-Makerin."

Am 25. September konnte ich eine Lauf-Premiere feiern: Ich lief als Pace-Makerin beim Berlin Marathon. Zwar nicht als offizielle, aber zumindest war ich für eine Läuferin verantwortlich, die ich in ins Ziel bringen sollte: Maria, deren Marathon-Premiere es war.

Eine Woche zuvor war ich vom Jakobsweg zurückgekehrt. Dort war ich zwar über 800km gewandert, aber keinen einzigen Kilometer gelaufen. Und leider hatte sich von der täglichen Wanderei mein Knie wieder entzündet. Es waren also nicht gerade die besten Voraussetzungen.

Aber als wir an diesem wunderschönen Septembermorgen losliefen, ich die Stimmung aufsaugte und das strahlende Lächeln von Maria neben mir sah, liefen die Beine auf einmal wie von selbst. Bis Kilometer 28 waren wir sogar auf unter-4-Stunden-Kurs, dann mussten wir etwas langsamer machen. Es war wirklich anstrengend, sich komplett an das Tempo einer anderen Person anzupassen. Aber Maria und ich haben beide unsere Premiere erfolgreich gemeistert und konnten nach 4:10:35 Hand in Hand und überglücklich ins Ziel laufen.

NEW YORK 2016.
"Der beste Zieleinlauf meines Lebens."

All meine Marathons waren auf ihre Weise fantastisch. Aber mein zweiter New York Marathon hat alles Bisherige übertroffen. Das Wetter am 6. November 2016 war mit 18 Grad perfekt, die Stimmung an der Strecke unbeschreiblich. Beim zweiten Mal konnte ich sie sogar noch mehr genießen. Und da mir die Strecke vertraut war, konnte ich meine Kraft sehr gut einteilen.

Bis Kilometer 30 lief ich mit einem Freund, dessen erster Marathon es war, mit dem Ziel "Sub 4h". Dann musste er das Tempo rausnehmen und ich startete durch. Ich weiß nicht, woher  meine Stärke auf den letzten 12 Kilometern kam. Ich hatte ja nicht sonderlich viel trainiert. Um ehrlich zu sein fast gar nicht. Aber auf einmal zündete mein inneres Laufbiest eine Rakete, die mich die letzten 12 Kilometer nur so dahinfliegen ließ.

Es war ein unbeschreibliches Gefühl, so durch die Straßen von New York zu sausen. Verrückt, zu was der Körper an manchen Tagen imstande ist. Ich glaube, man nennt das Runner's High. So flog ich durch die Bronx und zurück nach Manhatten, bis ich schließlich nach 3:39:55h im Central Park über die Zielline lief. Ich war im Marathon-Himmel angekommen und schwebe immer noch auf Wolke sieben. Da es schön ist hier oben, bleibe ich noch ein bisschen und träume von meinem nächsten Lauf-Ausflug. Ich bin gespannt, wo die Reise hingeht.

BOSTON 2017.
"Hitze, Heartbreak-Hill & Eis am Stiel."

Meine Reise führte mich etwa 200 Meilen weiter. Nach Boston, zum ältesten und traditionsreichsten Marathon der Welt. Und dem einzigen Marathon weltweit, für den man sich qualifizieren muss. Zwei Jahre Vorbereitungszeit hatte es gebraucht, bis ich endlich die für meine Altersgruppe geforderte Marathon-Zeit gelaufen war. Inzwischen hatte ich die Altersklasse gewechselt, was mir ein 10-Minuten-Zeit-Polster verschaffte. Als ich mich im September per Handy mitten auf dem Jakobsweg für den Boston Marathon anmeldete, war ich trotzdem ganz schön aufgeregt. 3 Tage später, an meinem 37. Geburtstag, erhielt ich endlich die erlösende Nachricht: "You are in!" Was ein geiles Geschenk.

Mit der Zusage kam auch die Aufregung. Denn eigentlich wollte ich keinen Frühjahrsmarathon mehr laufen. Die letzten Jahre hatten gezeigt, dass es meinem Körper besser geht, wenn er im Winter eine Laufpause bekommt. Mit dem Boston Marathon im April fiel diese Pause aus. 8 Wochen nach dem New York Marathon ging es also schon wieder los mit dem Training. Ich hatte mir einen Trainingsplan von running.COACH (https://runningcoach.me) geholt und wollte nochmal die 3:30h in Angriff nehmen. Da der Winter hart war und ich einfach kein Winterläufer bin - ehrlich: ich hasse es zu laufen, wenn es kalt ist und ich mehr als zwei Lagen Laufklamotten brauche - schrubbte ich etliche Kilometer auf dem Laufband. Und dann passierte es: das vom Jakobsweg immer noch angeschlagene Knie, das inzwischen zwei Marathons mit mir gelaufen war, begab sich in den Entzündungs-Streik. Vorbei war es mit dem Marathon-Training, noch bevor es richtig angefangen hatte.

Nun ja, dachte ich mir, wieder mal ein Marathon ohne Vorbereitung - scheint ein Muster bei mir zu sein. Also machte ich die nächsten drei Monate lauftechnisch nicht viel, tobte mich dafür im Gym und auf dem Fahrrad aus. Tag X kam näher, mein Knie wurde nicht wirklich besser. Hinzu kam noch ein entzündetes Schienbein. Zum Glück hab ich einen sehr, sehr guten Physio, der mich vor dem Marathon wieder so weit hinbekam, dass ich mich an den Start wagen konnte. Aber ich war alles andere als selbstbewusst. Ich hatte richtig Angst. Das erste Mal in meiner Lauf-Karriere war ich mir nicht sicher, ob ich den Marathon finishen würde.

Mit diesem mulmigen Gefühl fuhr ich gemeinsam mit ca. 30.000 Läufern in hunderten knallgelben Schulbussen an den Start des wohl prestigeträchtigsten Marathons der Welt. Alles war perfekt organisiert. Alles klappte problemlos. Dennoch war meine Aufregung so groß, dass ich völlig neben mir stand. Während ich im Startbereich auf den Start der 3. Wave wartete, wurde es immer wärmer. Bald knallte die Sonne unerbittlich vom wolkenlosen Himmel und das Thermometer kletterte auf knapp 30 Grad.

Dann der Startschuss. Ich stand ganz vorne und bekam die Start-Zeremonie hautnah mit. Die Masse setzte sich in Bewegung. Viel zu schnell für mich, aber ich ließ mich mitziehen. Schließlich ging es die ersten Kilometer nur bergab und da konnte man es ordentlich laufen lassen. Nach 10 Kilometern bereute ich die harte Pace bereits und mein Knie begann zu pochen. Nach 20 Kilometern war mir so heiß, dass ich alle unnötigen Klamotten von mir warf, und mein Magen von den vielen Mineraldrinks zu krampfen begann. Nach ca. 30 Kilometern kam der Heartbreak Hill, der mir den Rest gab. Noch nie war mein Drang mit dem Laufen aufzuhören stärker. Jedes Erste-Hilfe-Zelt, an dem ich vorbeitrabte, schien mich verlockend auf seine Liege zu rufen.

Und dann stand es plötzlich da: das kleine Mädchen mit dem Eis am Stil. Wie eine Verdurstende in der Wüste griff ich nach dem kalten Wassereis. Ich biss ab und ein herrlicher Cola-Geschmack breitete sich in meinem Mund aus. Die Kälte tat so unendlich gut und der Zucker schien direkt in meine müden Muskeln zu schießen. So seltsam das klingen mag: Das Eis war meine Rettung. Danach lief es wieder. Schon verrückt, was auf 42,2 Kilometern alles passieren kann. Und wie Kleinigkeiten zur wichtigsten Sache der Welt werden können.

Ich finishte in 3:45:05h. Es sollte einige Zeit dauern, bis ich realisierte, dass ich es geschafft hatte. Und ich habe die drei Wochen Urlaub - auch vom Laufen - dringend gebraucht, um mich wieder zu rehabilitieren. Aber wie heißt es so schön? Der Schmerz geht - der Stolz bleibt. Und die Erinnerung an das beste Wassereis meines Lebens ebenso.


BERLIN 2017.
"Lauf-Liebe pur."

Sechs Wochen vor dem Berlin-Marathon passierte etwas Wunderbares. Der Reiseanbieter Hip Trips (www.hip-trips.com) schenkte mir 24 Startplätze für den Berlin-Marathon. Also rief ich die Lauf-Liebe-Community auf, sich bei Interesse bei mir zu melden. Eine Riesen-Flut E-Mails erreichte mich. Es war nicht ganz leicht, aber schließlich waren die 24 Kandidaten ausgewählt, die gemeinsam als Team Lauf-Liebe starten sollten. Doch wie das Schicksal so spielt: Ein Tag vor Anmeldeschluss sagte eine Läuferin ihre Teilnahme aufgrund einer Verletzung ab. Da ich den Startplatz nicht verfallen lassen wollte, beschloss ich kurzerhand meinen Freund Patrick in die Starterliste einzutragen. Erst einmal nichts Besonderes - wenn mein Freund ein Läufer gewesen wäre. 

Doch das war er nicht. Er ist ein typischer "Pumper". 80 Kilogramm reine Muskelmasse bei 1,78m Körpergröße. Wenn wir mal ab und zu gemeinsam liefen, dann höchstens ein Stunde lang. 14 Kilometer waren zu diesem Zeitpunkt die längste Strecke, die er jemals am Stück gelaufen war. Dass er jemals einen Marathon mit mir laufen, geschweige denn finishen würde, war für mich so abwegig wie Regen in der Wüste. Doch spätestens seit meinem Las Vegas Marathon hätte ich wissen müssen: beim Marathon ist alles möglich. 

Was also zunächst als Hirngespinst begann, wurde ganz allmählich konkreter. Einen Trainingsplan gab es nicht, aber folgende Long Runs absolvierte mein "Neu-Läufer":

Woche 1: 14 Kilometer
Woche 2: 21,1 Kilometer
Woche 3: 21,1 Kilometer in unter 2 Stunden
Woche 4: 30 Kilometer
Woche 5: 35 Kilometer

Und in Woche 6, genauer gesagt am 23. September 2017, war es dann soweit: Paddy und ich standen gemeinsam an der Startlinie des Berlin-Marathon. Ich konnte es immer noch nicht glauben. Und Paddy vermutlich auch nicht. Doch als der Startschuss fiel, trabten wir los, bei leichtem Nieselregen und in einem gemütlichen 6:30er-Schnitt. Die Zeit war sowas von egal - ums Ankommen ging es. Um uns herum all die lieben Mit-Läufer vom Team Lauf-Liebe. Und Tausende Zuschauer, die uns anfeuerten. Das gab Kraft und Energie, sodass Paddy bald das Tempo anzog. Wir lächelten uns durch die Hauptstadt, klatschten Hände ab, umarmten Freunde an der Strecke und genossen das gemeinsame Abenteuer, bis wir mit Tränen in den Augen, aber einem fetten Grinsen im Gesicht, Hand in Hand die Ziellinie überquerten. 4:10:21h zeigte die Uhr - Paddys Marathonpremiere war gelungen und ich die stolzeste Freundin auf Erden. "Das war mein erster und letzter Marathon", stöhnte Paddy im Ziel. "Ja, klar", antwortete ich und lächelte. Und plante insgeheim unseren nächsten Lauf-Urlaub. 

An dieser Stelle ein dickes Dankeschön an alle Supporter an der Strecke, an Hip Trips für die Startplätze, CEP für die tollen Kompressionssocken und an das wunderbare Team Lauf-Liebe, das sich so großartig auf der Strecke geschlagen hat. Ihr alle habt diesen Tag zu etwas ganz Besonderem gemacht. Und mir wurde wieder einmal klar: Mit der richtigen Portion Lauf-Liebe kann man(n) alles erreichen.

ATHEN 2017.
"Von Göttern, Höllenqualen und einem himmlischen Zieleinlauf."

Der Athen Marathon - die Mutter aller Marathons. Seit langem stand er auf meiner Läufer-Bucket-Liste. Die Strecke führt von Marathon bis ins Athener Panathinaiko-Stadion – der Geburtsstätte der Olympischen Spiele der Neuzeit. Jeder Läufer kennt die Legende des Botenläufers Pheidippides, der nach der Schlacht von Marathon 490 v. Chr. nach Athen lief, um die Botschaft „Nikénem - Wir haben gesiegt“ zu verkünden – und danach tot zusammenzubrechen. 

Egal, ob die Legende vom Tod des ersten Marathonläufers stimmt oder nicht – sie versinnbildlicht den Charakter der historischen Strecke. Denn während sich die ersten Kilometer entspannt durch etwas ödes Brachland und kleine Ortschaften ziehen, verlangen die „mörderischen“ Steigungen ab etwa Kilometer 20 auch dem Läufer von heute alles ab. 

Für mich waren sie die Rettung.

Doch bevor für mich um kurz nach 9 Uhr der Startschuss fiel, musste ich vom Zentrum Athens ins etwa 40 Kilometer entfernte Marathon gelangen. Hierzu waren Hunderte von Shuttle-Bussen unterwegs. Mein Gedanke bei so einer Marathon-Busfahrt ist immer derselbe: „Das soll ich alles zurücklaufen?“ Hinzu kam dieses Mal: „Das soll ich alles wieder hochlaufen?“ Denn ab dem Zeitpunkt, als wir den Großraum Athen hinter uns gelassen hatten, ging es eigentlich nur noch bergab. Und zwar ordentlich.

Im Stadion von Marathon angekommen, verging die Zeit wie im Flug. Zweites Frühstück, Kleiderabgabe, Fotosession an der Olympischen Fackel, drei Toilettengänge (ja, mei, die Aufregung) – und schon standen Pierre aus der Lauf-Liebe-Community und ich – wir hatten uns zufällig getroffen -an der Startlinie. Selbstverständlich im Lauf-Liebe-Shirt-Partnerlook.

Die Start-Zeremonie war Gänsehaut-trächtig. Der Stadion-Sprecher begrüßte die Läufer in allen Sprachen der teilnehmenden Nationen. Kurz, bevor der Startschuss fiel, hoben alle Läufer ihre Faust als Zeichen für einen fairen und freundschaftlichen Wettkampf. Dann ging es los auf die geschichtsträchtige Strecke.
Die ersten Kilometer entlang der ägäischen Küste liefen sich leichtfüßig. Die Strecke präsentierte sich unspektakulär bis langweilig, dafür ging es bergab. Die Zuschauerzahl war überschaubar, aber dafür umso herzlicher. Viele Zuschauer reichten den Läufern symbolisch Olivenzweige. 

Obwohl ich in den Fußstapfen der alten Götter und Helden lief, fühlte ich mich bald schon alles andere als heldenhaft. Eher wie im Hades: Mein Knie tat höllisch weh und die Sonne brannte immer gnadenloser vom spätherbstlichen griechischen Himmel. Hinzu kam ein Gefühl, das ich noch nie bei einem Wettkampf hatte: Ich hatte keine Lust mehr zu laufen. Ich fragte mich ernsthaft, warum ich das mir und meinem Knie immer wieder antat und wurde sehr nachdenklich – und immer langsamer. Bald schon hielt ich bei jeder Verpflegungsstation an, die übrigens vorbildlich alle 2,5 Kilometer eingerichtet waren. Wenig vorbildlich war das Ausgeben von 0,5l PET-Plastikflaschen, die nach ein paar Schlucken tausendfach im Straßengraben landeten. Da blutete mein Umweltherz schon sehr. Doch bald schon hatte ich keine Kraft mehr, mich darüber zu ärgern. Ich brauchte jedes Körnchen Energie um meinen Kopf davon zu überzeugen, nicht einfach stehenzubleiben. 

Mein Lauf glich also einem Trauerspiel. Bis, ja, bis bei etwa Kilometer 20 der Anstieg kam.

Der Punkt, an dem die meisten Läufer erste Gehpausen einlegten, wurde mein „Phönix-aus-der-Asche“-Moment. Denn beim Bergauflaufen waren meine Knieschmerzen erträglicher. Als ich merkte, dass ich mein Bein wieder stärker belasten konnte, kam mit jedem Höhenmeter der Ehrgeiz zurück. Da war sie endlich wieder, meine Wettkampfsau. Sie hatte sich dieses Mal auch lange genug hinter Wehklagen und Selbstmitleid versteckt. Endlich hatte sie wieder Blut geleckt und trug mich immer weiter, vorbei an den langsamer werdenden Mitläufern, vorbei an jubelnden Menschenmengen, vorbei an meiner Angst vor meinem ersten DNF. Immer weiter schraubte ich mich auf der Asphaltstrecke nach oben und wünschte mir insgeheim, dass der Berg nie enden würde. Doch bei Kilometer 31 und etwa 240 Metern über dem Meer war es vorbei – es ging wieder bergab. 

Das Todesurteil für mein Knie, dachte ich mir. Doch die Wettkampfsau hatte längst das Ruder ergriffen. Sie schrie mich an: „Stell dich nicht so an, du Memme. Nur noch 11 Kilometer – das läufst du sonst in der Mittagspause!“ Und mein Körper, nun vollgepumpt mit Adrenalin und Endorphinen, folgte ihr. Ich rannte, als wäre Hades höchstpersönlich hinter mir her. Der Blick auf meine Uhr bestätigte mein Gefühl: Ich lief einen 4:41er-Schnitt. Ich konnte es kaum glauben. Vielleicht würde ich es sogar noch unter 3:45h ins Ziel schaffen – damit wäre meine Teilnahme am Chicago Marathon gesichert. Also lief ich weiter, so schnell mich meine inzwischen doch etwas müden Beine tragen konnten. Bei Kilometer 40 wäre mir fast die Puste ausgegangen, doch meine Wettkampfsau peitschte mich weiter an. „Jetzt nur nicht aufgeben, du hast es gleich geschafft.“ 

Und dann, endlich, erblickte ich es: Das majestätisch in den Himmel ragende Olympiastadion von Athen. In gleißendes Licht getaucht, wirkten die Tribünen aus weißem Marmor auf mich wie mein persönlicher Olymp. Mit letzter Kraft setzte ich zum Endspurt an, angefeuert von den Jubelrufen tausender Zuschauer, die in diesem Moment nur mich anzufeuern schienen. Irgendwo hier saß auch meine Mami, mein treuester Fan, die, das wusste ich, in diesem Moment ebenso glücklich war wie ich und vermutlich am lautesten von allen schrie. 

So strahlte ich bis über beide Ohren, als ich die Ziellinie überquerte. Und ich glaube, meine Wettkampfsau weinte sogar ein wenig vor Erschöpfung und Dankbarkeit. Denn wir hatten es geschafft: Wir hatten den Athen Marathon in 3:41:40h gefinisht. Die Tränen wichen einem zufriedenen Siegerlächeln. Ein Lächeln, das bis heute anhält.

Und die Moral von der Geschicht? Zweifeln darf man - Aufgeben nicht.

TOKYO 2018.
"Run when you can, walk if you have to, crawl if you must."

Im Laufe meiner Marathon-Karriere hatte ich bereits einige ungünstige Lauf-Voraussetzungen. Aber Anfang 2018 standen die Zeichen einen Marathon zu finishen besonders schlecht. Mein Knie hatte sich seit dem Athen Marathon so verschlechtert, dass ich das Training nach zwei Probeläufen abbrechen musste. Bei einem Arztbesuch im Februar versicherte mir der Arzt: "Frau Dannwolf, es gibt Leute, die sind nicht fürs Laufen gemacht. Sie gehören dazu." Und zu allem Überfluss erlitt ich dann noch einen Nabelbruch, der einen operativen Eingriff nach sich zog - zwei Wochen vor der geplanten Reise nach Tokyo.

Eigentlich hätte der Tokyo Marathon für mich gelaufen sein müssen. Eigentlich... Wenn ich nicht einen verdammt harten Dickschädel hätte. Passionierte Marathonläufer verstehen mein Dilemma: Einen Startplatz für den Tokyo Marathon zu bekommen ist in etwa so wie in Schwabing nach 19 Uhr einen Parkplatz vor der Haustür zu ergattern: sehr, sehr unwahrscheinlich. Da neben dem Startplatz ja auch die Reise nach Tokyo bereits gebucht war, stand schnell fest, dass wir trotz aller Umstände ins Land der aufgehenden Sonne reisen würden. Ob ich laufen würde, war nicht klar. Selbst dann noch nicht, als ich am 24. Februar 2018 meine Startnummer abholte - im Übrigen auf der schrillsten, buntesten und verrücktesten Marathonmesse, auf der ich je war. Doch inmitten all dieser lauten und für uns Westeuropäer extravagant anmutenden Stände reifte in mir ein Gedanke, der mich sehr ruhig machte: Ich würde den Tokyo Marathon "einfach" gehen. Dass es alles andere als einfach werden würde, sollte ich am nächsten Tag erfahren.

Also stand ich am Morgen des mit 6 Grad etwas frischen, aber fürs Laufen perfekten, 25. Februar 2018 inmitten aller ambitionierten Läufer des Startblock C und bereitete mich seelisch darauf vor, von 30.000 Läufern überholt zu werden. Damit ich nicht gleich zu Beginn vor lauter Frust aufgab, pinnte ich mir ein Schild auf den Rücken: "Can't run due to injury - so I will walk." Als der Startschuss fiel, lief ich etwa 3 Kilometer mit, um nicht direkt von der Masse überrollt zu werden, arbeitete mich dann zum Rand durch und tat es einfach: Ich ging. Die ambitionierteren Läufer unter euch können vielleicht nachvollziehen, welche Überwindung mich dies kostete. Es war eine Mischung aus Scham und Frust. Hinzu kam die Angst, dass ich meinem Körper zu viel zumutete. 

Nach ein paar weiteren Kilometern war mir das alles egal. Ab da kämpfte ich nur noch gegen mich, die Uhr und mein schlechtes Gewissen an. Es sollte ein sehr harter - und langer - Kampf werden.

Bei Kilometer zehn wollte ich das erste Mal aufgeben. Ich hätte nur rechts abbiegen müssen, um über die Ziellinie des 10-Kilometer-Wettbewerbs zu gehen, mich in die U-bahn zu setzen und den Rest des Tages entspannt – und heulend - im Bett zu verbringen. Das Weitergehen schien mir die bessere Alternative zu sein. Bei Kilometer 15 bereute ich diese Entscheidung bereits. Die Geh-Kilometer schienen sich ins Endlose zu ziehen. Kurz vor der 20-Kilometer-Marke erspähte ich zum ersten Mal den Besenwagen, der mir drohend auf der anderen Straßenseite entgegenkam. Als ich nach weit über drei Stunden endlich die 21,1 Kilometer-Marke überschritt, war ich den Tränen nahe. So schwer hatte ich es mir nicht vorgestellt – weder körperlich, noch mental. Dennoch ging ich weiter. Ich redete mir gut zu, versuchte mich abzulenken und auf den Marathon-Trubel um mich herum zu konzentrieren.

Die japanischen Lauf-Fans und insbesondere die vielen Helfer an der Strecke waren einfach nur großartig. Über fünf Stunden nach Startschuss feuerten sie uns immer noch an, klatschten und jubelten, als wären wir die Top-Läufer der ersten Start-Welle. Dabei war ich inzwischen in einer der letzten Marathon-Gruppen angelangt. Ein Teil der Verpflegungsstationen wurde bereits abgebaut und hinter uns fuhr bereits wieder der Verkehr. Viele Läufer um mich herum gingen inzwischen, humpelten oder schlurften - und schleppten sich dennoch Kilometer für Kilometer voran. „Wenn die das schaffen, schaffe ich das auch“, dachte ich mir. Langsam kehrte mein Kampfgeist zurück.

Bei etwa Kilometer 32 holte mich eine Laufgruppe ein, die goldene, eckige Luftballons trug. „Die 5-Stunden-Pacer“, dachte ich bei mir - das Zeitgefühl hatte ich zu diesem Zeitpunkt komplett verloren - bis mich einer der Luftballon-Träger anfeuerte, ich solle schneller laufen. Ich zeigte auf mein Knie und sagte: „Sorry, not possible.“ Da raunte er mir in gebrochenem Englisch zu: „If you fall behind us, no finish under 7 hours“, und wedelte dabei wild mit einem Pace-Zettel in seiner Hand. Da dämmerte es mir: Das war die Besengruppe. Alle, die hinter ihr ankamen, wurden nicht gewertet. Panik stieg in mir auf. Sollten all die Strapazen umsonst gewesen sein?

Auf keinen Fall! Also begann ich zu laufen. Keine gute Idee, das wusste ich, als mich mein Knie schmerzend in den Geh-Modus zurückzwang. Aber zu diesem Zeitpunkt aufzugeben kam für mich nicht in Frage. Also musste eine andere Strategie her. Ich suchte mir Fixpunkte an der Strecke, bis zu denen ich lief – meist so etwa 200 Meter entfernt. Dann ging ich wieder. So kämpfte ich mich durch die letzten 10 Kilometer, abwechselnd laufend und gehend und vor mich her fluchend, was für eine bescheuerte Idee das von mir gewesen war. Man bedenke: es lagen immer noch etwa anderthalb Stunden Quälerei vor mir.

Doch dann, nach sich endlos ziehenden Kilometern, kam er endlich: der letzte Kilometer. Mir schossen die Tränen in die Augen, noch bevor ich die Ziellinie sehen konnte. Vierzehn Mal hatte ich den Marathon-Zieleinlauf bereits erlebt. Es war immer ein unbeschreibliches Gefühl gewesen. Doch als ich an diesem 25. Februar 2018 nach 6:22:49h über die Ziellinie ging, war das mit absolut nichts zu vergleichen. Ich hatte es geschafft: ich hatte mit kaputtem Knie und zweieinhalb Wochen nach meiner Bauchnabel-OP einen Marathon gefinisht. Nicht das gesundheitlich Klügste, was ich je gemacht habe, und keinesfalls zum Nachahmen geeignet. Aber für mich und meine Läufer-Seele die zu diesem Zeitpunkt einzig mögliche – und damit richtige - Entscheidung.

Und ich bin voll tiefstem Respekt: vor all den Läufern, die auch ohne Chance auf Bestzeiten an den Start gehen; die sich im hinteren Feld durchkämpfen, wenn die anderen schon längst im Ziel sind; die fünf, sechs oder sieben Stunden Quälerei mental überstehen und einfach immer weitermachen. Sie sind für mich die wahren Helden – und haben sich die Finisher-Medaille und unsere Anerkennung ebenso hart verdient wie jeder unter-3-Stunden-Läufer. Ein Hoch auf alle Lauf-Schnecken – ich bin stolz, dazuzugehören.

Den Tokyo-Marathon in bewegten Bildern gibt's in meiner Insta-Story.

CHICAGO 2018.
"Did not Finish but Did say YES!"

Die Wochen und Monate vor dem Chicago Marathon 2018 zählten zu den schlimmsten meines Lebens. Neben einem schweren Schicksalsschlag schien mein Körper Krankheiten und Verletzungen regelrecht anzuziehen. Mein Knie, das täglich schmerzte und selbst Alltagsbewegungen zur Qual machte, erinnerte mich ständig daran, wie fragil unser Körper ist. Ich war geprägt von Angst, dem Gefühl von Schwäche und absoluter Hilflosigkeit. Zum Glück hatte ich Benji und Pat, die mir Halt gaben. Meine Gedanken während dieser Zeit habe ich in folgendem Blog-Beitrag zusammengefasst.

Als Pat ins Marathontraining für Chicago einstieg und ich dabei zusehen musste, ohne selbst laufen zu können, machte das die Situation für mich nicht einfacher. Aber Schwermut half mir nicht weiter, also entschloss ich mich, die Situation zu akzeptieren und Pat bestmöglich zu unterstützen. Es sollte sein zweiter Marathon werden und er trainierte hart, um seine Zielzeit 3:45h zu erreichen. Ich wanderte viel mit Benji, um mich abzulenken, während Pat seine Longruns absolvierte. 

So vergingen die Wochen, bis wir am 11. Oktober 2018 gemeinsam in der Startaufstellung des 41. Chicago Marathons standen. Ich hatte meine Startnummer abgeholt, damit ich Pat zum Start begleiten konnte. Es war eine Mischung aus Aufregung, Frust und Wehmut, als ich zwischen all den ambitionierten Läufern stand. Ich kämpfte mit den Tränen, versuchte jedoch, für Pat stark zu sein. Heute sollte SEIN Tag werden.

Es waren noch 5 Minuten bis zum Start, als mich Pat plötzlich in den Arm nahm und mir sagte, dass er weiß, wie schwer das gerade für mich ist. Jetzt konnte ich meine Trauer nicht mehr zurückhalten und weinte bitterlich. Da sank er vor mir auf die Knie und sprach die Worte, die für mich in diesem Moment die Welt bedeuteten. Und ich sagte, begleitet vom tosenden Applaus der Läufer um uns herum, sehr leise aber aus tiefstem Herzen: JA, ICH WILL! Dann fiel der Startschuss und Pat lief los. Und auch wenn ich zurückbleiben musste, war ich in diesem Moment die glücklichste Nicht-Finisherin der Welt.

Ich trabte ein paar Meter mit der Läufermasse mit und tat dann das, was ich noch nie zuvor gemacht hatte: ich stieg aus. Zugegeben, es war nicht einfach. Bis zuletzt hatte ich mit dem Gedanken gespielt, die Strecke, wie in Tokyo, zu gehen. Doch ich wusste, dass dies mein Knie ebenso belasten würde und es perspektivisch gesehen körperlicher Knie-Mord war. Also tat ich mein Bestes, um Pat an der Strecke anzufeuern. Ich erlebte, wie anstrengend es war, immer zum richtigen Zeitpunkt einen Platz an der Strecke zu finden. ihn unter den tausenden Läufern auszumachen um dann lauthals zu schreien, während er in ein paar Sekunden vorbeitrabte. Zu diesem Zeitpunkt goss es bereits in Strömen und "Windy City" machte ihrem Namen alle Ehre. Ich schloss mich mit anderen "Fans" zusammen und wir tigerten durch die Stadt in der Hoffnung, nicht die Orientierung zu verlieren. Ich fieberte per App mit und sah dabei zu, wie sich Pat Kilometer für Kilometer zurück in Richtung Grant Park kämpfte. Ich selbst kämpfte mich ebenfalls durch die Zuschauermasse dorthin.

Keine Ahnung, wie ich es schaffte, aber es gelang mir entgegen der Laufrichtung und allen Streckenposten zum Trotz in den Zielbereich zu gelangen. Dort konnte ich meinen frisch Verlobten nach 3:46:04h in die Arme schließen. Mit der Zielzeit hatte es nicht ganz geklappt, aber dafür hatten wir nun ein neues Ziel: die Planung unserer Hochzeit.

Den Chicago Marathon in bewegten Bildern gibt's in meiner Insta-Story.

CHICAGO 2019.
"Hochzeit, Halsschmerz, und Happy End."

Die Entscheidung, den Chicago Marathon 2018 nicht zu laufen, war rückblickend betrachtet die absolut richtige gewesen. Indem ich vernünftig geblieben war, konnte mein Knie heilen. Am 25. November 2018, nach fast einem Jahr Laufpause sowie einer Odyssee von Arztbesuchen, Tränen und Verzweiflung, war es dann endlich soweit: ich konnte das erste Mal wieder schmerzfrei laufen. 8km - gehend und walkend im Wechsel - aber das war egal. Ich war zurück!

Ich sage es, wie es ist: das Zurückkämpfen war nicht einfach. Die vielen Monate ohne Laufen hatten ihre Spuren hinterlassen: Lauf-Kraft und -Ausdauer waren im Keller. Aber mir war es egal, wie langsam ich war. Ich schmiss meine Laufuhr in die Ecke, konzentrierte mich auf mich und die Freude, mit Benji laufend die Natur zu erkunden. Ich machte meine Ausbildung zur Functional Fitnesstrainerin und unterstützte mit den richtigen Übungen meine Heilung. Ich arbeitete konsequent an meiner Lauftechnik und änderte mein Training von Grund auf: Mobility und Stability-Übungen waren ab sofort an der Tagesordnung, die Kilometerzahlen wurden auf das Nötigste runtergeschraubt und mein übersteigerter Ehrgeiz wich einem vernünftigen Körperbewusstsein. Ich hatte für 2019 nur ein Ziel: gesund bleiben und den Chicago Marathon finishen.

Unsere Startplätze hatten wir uns bereits Ende 2018 gesichert: Pat über das Losverfahren, ich über die Zeit-Qualifikation. Als Pat im Juli ins Marathon-Training einstieg, war ich noch sehr verhalten. Zu groß meine Angst, mein Knie durch den Trainingsplan zu überfordern oder schlichtweg die geforderte Pace nicht zu schaffen - Pat trainierte darauf, die 3:45h zu knacken. Nach unserer Hochzeit und etlichen Trainingskilometern ohne Schmerzen stieg ich schließlich in Pats Trainingsplan ein. Es sollten 10 harte Wochen werden. 

Das Training schlug an: meine Pace wurde besser, die Longruns länger und so langsam gewann ich Stück für Stück mein altes Lauf-Selbstbewusstsein wieder. Ich war extrem froh, Pat an meiner Seite zu haben. Wir pushten uns gegenseitig und zogen selbst in unseren Flitterwochen den Trainingsplan konsequent durch - inklusive Longruns am Strand und Intervallen bei tropischer Hitze unter der Sonne Floridas. Alles lief blendend und ich schaute voller Vorfreude unserem gemeinsamen Marathon-Abenteuer entgegen. Daran konnte nicht mal der letzte, verpatzte Longrun etwas ändern, den ich alleine in Berlin hätte absolvieren sollen. Ich war bereit, mir meine Finisher-Medaille zu holen und damit Stern 5 der "Major SIX" zu ergattern. Alles lief blenden, bis...

... es mir genau eine Woche vor TAG X in den Nacken fuhr. Am Anfang war ich noch entspannt - in 7 Tagen würde das wieder vorbei sein. Doch die Tage schmolzen dahin und es wurde nicht besser. Zwei Tage vor dem Marathon, wir waren bereits am Flughafen, konnte ich meinen Hals kaum noch bewegen. Selbst beim Gehen schmerzte jeder Aufprall. Heulend saß ich im Flieger. Konnte das möglich sein? Wochenlanges Training ohne Knieprobleme - und jetzt machte mir mein Hals einen Strich durch die Rechnung? Das durfte nicht wahr sein... Ich knetete, rollte, wärmte, betete, fluchte... Irgendwas davon schien geholfen zu haben.

Am Marathonmorgen war die Verspannung nicht weg, aber sie war so, dass ich mir den Start zutraute. Zwar konnte ich nur geradeaus schauen - aber das war ja beim Laufen zum Glück machbar. Mit drei Schichten Salbe und Wärmekissen im Nacken ging es für mich in die Startaufstellung. Meine Gedanken schwirrten, ich war wie im Film. So groß war meine Angst, den Chicago Marathon ein zweites Mal nicht zu finishen. 

Dann nahm mich Pat in den Arm. Genau hier hatte er mir vor einem Jahr den Antrag gemacht. Genau vor drei Monaten hatten wir uns das Ja-Wort gegeben. Nun standen wir an diesem besonderen Tag und Ort, Hand in Hand, als Mann und Frau. "Wir schaffen das zusammen!", flüsterte er mir ins Ohr. Dann fiel der Startschuss. 

Ich war immer noch wie benommen, als wir uns mit der Läufer-Masse langsam in Bewegung setzten. Daran sollte sich auch die nächsten 42,195 Kilometer nichts ändern. Die jubelnden Zuschauer, die Skyline von Chicago, die tausenden Läufer - alles schien unwirklich. So lange hatte ich auf dieses Ziel hingearbeitet, dass ich es jetzt, wo es soweit war, nicht begreifen konnte. Meinen Hals möglichst still haltend arbeitete ich mich Schritt für Schritt nach vorne. Die Angst, nicht ins Ziel zu kommen, begleitete mich bis zum Schluss. Selbst auf den letzten Kilometern traute ich mir noch nicht, mich "sicher" zu fühlen. Was, wenn ich umknickte, mein Muskel zumachte, ich plötzlich einen Krampf bekam?

Doch mein Traum wurde wahr: Nach über einem Jahr Verletzungspause und an unserem 3-Monatigen Hochzeitstag liefen Pat und ich nach 3:37:42h Hand in Hand ins Ziel. Es war geschafft. Es war unser Happy End.

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