Blog Post


Lauf-Liebe-Held Heiko

Ella • Sep 15, 2018

Wie sich ein Ultraläufer zurück ins Leben kämpft.

Es sind nicht immer Bestzeiten, Streckenrekorde oder gelaufene Kilometer, die einen Lauf-Liebe-Helden ausmachen. Manchmal werden größere Leistungen abseits von Medaillen und Siegertreppchen erbracht. Zum Beispiel dann, wenn ein Läufer durch eine Krankheit oder einen Schicksalsschlag aus der Bahn geworfen wird. So wie Ultraläufer Heiko, der im November 2016 einen Schlaganfall erleidet. Seitdem kämpft er sich in kleinen Schritten zurück in sein altes Läuferleben - oder vielmehr in ein neues. Denn so wie vorher wird es für Heiko nie mehr laufen. Aber vielleicht macht ihn gerade das zu einem weitaus stärkeren Läufer. Und Menschen.

Heiko, 42 Jahre, Ultraläufer, Schlaganfall-Patient.

Ich habe Monate gebraucht, um mich hinzusetzen und die folgenden Zeilen zu schreiben. Es war wie eine Starre. Wo soll man anfangen? Was soll man preisgeben? Welche Schlussfolgerung ziehen? Gibt es überhaupt eine? Hat nicht jeder Mensch seine eigene Konsequenz aus all den kleinen und großen Dramen, die uns passieren? Vielleicht gibt es nicht das eine, allgemeingültige Fazit aus dem, was mir passiert ist. Aber vielleicht kann ich anstoßen, kurz innezuhalten. Euch zum Reflektieren anregen. Zum Nachdenken darüber, was wirklich wichtig ist im Leben.

Ein Novembermorgen, der alles veränderte.

Es war das perfekte Wochenende. Mein Training lief prima und ich war voll auf Kurs, im Januar den 50-Kilometer-Ultramarathon in Rodgau und im Februar die 80 Kilometer bei der Brocken Challenge zu laufen. Es ging mir richtig gut. Ich fühlte mich fit. Ich war glücklich.

Doch als ich an diesem nebligen Novembermorgen kurz vor 5 Uhr aufwachte, sollte sich mein bisheriges Leben schlagartig ändern. Kurz nach dem Aufstehen verlor ich plötzlich die Kontrolle über mein Bein und meinen linken Arm. Sie gehorchten mir nicht mehr, schlackerten wild herum. Zudem hatte ich sehr starken Drehschwindel und konnte nicht mehr richtig reden. Sehr schnell wurde mir klar: irgendetwas ist nicht in Ordnung.

Ich rief den Notruf an und schleppte mich ins Wohnzimmer - auf den Knien, da ich mich nicht auf den Beinen halten konnte. Dann fiel mir ein, dass ich die Wohnungstüre öffnen musste. Also kroch ich zurück in den Hausflur, um die Türe aufzusperren. Dort lag ich immer noch, als nach 30 Minuten, die sich für mich wie eine Ewigkeit anfühlten, endlich der Rettungsdienst eintraf, mich auf eine Trage legte, mich ins Krankenhaus und von dort in eine Spezialklinik brachte.

Wie im falschen Film.

Was mich die nächsten Tage erwartete, ist immer noch ein schlechter Film für mich. Es fühlte sich wie ein schweres Missverständnis an. Zunächst ging es auf die Intensivstation, wo ich fünf Tage lang lag. Ein hektisches, besorgtes Treiben der Ärzte. Verlegung auf die Stroke-Unit, Verkabelung, ständiges Piepsen und Pumpen. Ich wachte zwischendurch auf und fragte den Arzt, wann ich wieder trainieren könnte. Zu dem Zeitpunkt dachte ich noch, es wäre nicht so schlimm und es würde sich alles aufklären.

Es klärte sich auf. Nur leider nicht so, wie ich es erhofft hatte.

Das Ärzte-Komitee, das sich an meinem Bett versammelte, um mir das Ergebnis der Diagnose zu präsentieren, bestätigte das, was ich bereits schmerzvoll geahnt hatte: ich hatte einen Schlaganfall erlitten. Die Ärzte sagten mir auch, dass ich großes Glück gehabt hätte, denn ich wurde mit gerade einmal 34 Grad Körpertemperatur in die Klinik eingeliefert. Auch wenn ich dem Tod gerade noch von der Schippe gesprungen war - wirklich glücklich fühlte ich mich zu diesem Zeitpunkt nicht.

Angst.

Ich fühlte mich fehl am Platz. Nicht vorbereitet auf diese lange Reise. Panisch. Ich brauchte einige Stunden, um das, was da mit mir passiert war, zu begreifen.Wenn von einer Minute auf die andere dein Leben die Karten neu mischt, du einer neuen Situation gegenüberstehst, in der die blanke Angst versucht, deiner Herr zu werden, verschieben sich alle Prioritäten, Ziele und Wünsche.

Auch wenn ich mich in der Theorie bereits mit dem Tod und der Vergänglichkeit auseinandergesetzt hatte, so war mein Leben bisher rein, voller Tatendrang, Vorfreude, Lebensglück, Naivität gewesen. Das letzte Jahr war erfüllt von Abenteuern, kleinen Überraschungen und Glücksmomenten. Zwar hatte ich mit Atemnot und sportlich mit einem deutlichen Leistungseinbruch zu kämpfen, doch ich nahm dies nicht allzu ernst, ließ es beim Kardiologen abklären und trainierte weiter. Ich machte mir nicht viel aus Platzierungen im Wettkampf - solange ich laufen konnte, war ich glücklich.

Was jetzt mit mir passierte, war völlig neu für mich. Noch nie zuvor hatte ich diese dunkle, stinkende Masse purer Sterbensangst in der Magengegend gefühlt, die sich jetzt langsam und stetig in mir ausbreitete und mich mitsamt meinem Lebensglück zu verschlingen drohte. Es war wie ein schwarzes Loch, das sich unter mir ausbreitete.

Der längste Lauf meines Lebens.

Doch trotz dieser Angst, diesem Ohnmachtsgefühl, gelang es mir, mich aufs "Weitergehen" zu konzentrieren. Genau wie früher wollte ich meine Ziellinie nicht aus den Augen verlieren. Das Ziel hieß dieses Mal: mich zurück ins (Läufer-)Leben kämpfen. Und auch, wenn dies der längste Lauf meines bisherigen Lebens werden sollte, gab es für mich zu keinem Zeitpunkt die Option, diese Ziellinie nicht zu erreichen. Wie heißt es so schön im Läufer-Jargon? "DNF is never an option!"

Es gab Hochs und Tiefs auf meinem Weg. Ich saß wochenlang im Rollstuhl, bis ich wieder mit Hilfe meines Physios und einem Rollator aufstehen konnte. Es begann ein harter Kampf, bis ich mich wieder selbständig anziehen, meine Schuhe binden konnte. Und auch das zur Toilette gehen mit dem Rollator war ein Kraftakt. Ich dachte immer noch, alles wäre nur ein schlechter Traum. Dachte mir, ich lege mich ins Bett, wache auf und alles ist wie früher. Leider war es nicht so. Den ersten Blick in den Spiegel werde ich so schnell nicht vergessen: Ziemlich demoliert, dachte ich traurig. Aus einem Körper, der mich noch vor kurzem über ultralange Wege getragen hatte, waren spindeldürre Beinchen und Arme geworden.

Aber ich habe mich vorgearbeitet. Von "Versorgungspunkt" zu "Versorgungspunkt". Wie früher beim Laufen. Nie an die ganze Strecke denken, immer nur an die nächste Etappe. Das habe ich beim Ultralaufen gelernt. Und auch, wenn es mal hart ist, ruhig weiteratmen. Alles geht vorbei. Nie hätte ich gedacht, dass das Ultralaufen eines Tages so viel Symbolkraft für mich haben würden. Dass es ein Tool werden sollte, das mich durch den schwersten Lauf meines Lebens bringen würden.

Dankbar sein.

Ich habe mein Leben lang bewusst gelebt, habe mich gesund ernährt, nie geraucht, seit mehreren Jahren Sport getrieben. Meine Arterien sind nicht verkalkt, ich habe kein Übergewicht. Und dennoch hat es mich getroffen. Aus dem Hinterhalt. So ist halt das Leben, wir können unser Schicksal nicht beeinflussen.


"Fühlst Du Dich betrogen vom Leben?", fragte mich neulich ein Bekannter. Ich musste nicht lange überlegen: "Nein!" Die Frage sollte doch lauten: Warum sollte es mich nicht getroffen haben? Warum nehmen wir uns immer das Privileg heraus, auf andere, schlimme Schicksale betroffen zu blicken, fest glaubend, dass wir bei dieser ganzen Achterbahnfahrt, die wir Leben nennen, heil herauskommen? Fakt ist: Es kann uns immer treffen. Hinter jeder Ecke lauert ein Unfall, eine Krankheit, ein Trauerfall. Das gehört zum Leben ebenso wie die Glücksmomente, nur blenden wir das meist aus. Und das ist auch gut so. Ein Leben voller Ängste ist nicht das Ziel.

Aber: Hin und wieder sollten wir uns bewusst machen, wie dankbar wir sein dürfen. Dafür, dass wir morgens aus eigener Kraft aufstehen, uns auf das Fahrrad schwingen, die Laufschuhe schnüren, mit den Liebsten abends zusammensitzen können. Reicht das nicht aus, um zufrieden zu sein? Brauchen wir mehr? Die neue persönliche Bestzeit, den fetteren Wettkampf, noch mehr Anerkennung? Das sollte jeder für sich entscheiden. Meine Prioritäten haben sich inzwischen verschoben.

Die Ziellinie

Meine Ziellinie ist das Gesundwerden. Und sie ist in Sichtweite. Auch wenn es nie wieder so wird wie früher. DenSchwerbehindertenausweiskann ich nicht einfach wieder abgeben. Aber ich kann das Beste aus meiner Situation machen. Ich kann anderen Menschen Mut und Trost spenden. Ich kann Vorbild sein. Ich kann zum Nachdenken anregen. Darauf aufmerksam machen, dass Leben und Gesundheit nicht selbstverständlich sind.

Was das Laufen angeht, fange ich wieder von vorne an. Und ich meine ganz vonvorne. Mit dem Kreislauf eines Achtzigjährigen lassen sich keine großen Sprünge machen. Aber selbst kleine Fortschritte sind Schritte, die mich der Ziellinie näher bringen.

Ich habe gelernt, meinen Körper die Grenzen setzen lassen, nicht mein Ego. Ich brauche keine Medaillen oder Bestzeiten. Solange ich mich bewegen, meinen Körper spüren kann und über die Straßen fliegen darf, habe ich dem Schicksal meine Antwort gegeben.

Ein Schlusswort.

Zum Schluss möchte ich euch noch etwas ganz Wichtiges mitgeben: In schweren Momenten gibt es nichts, das mehr Kraft gibt, als Freundschaft und Liebe. All die Zusprüche, Briefe, Nachrichten, Glücksbringer und Mutmacher, die ich im Krankenhaus erhalten habe, haben mir die Tage erhellt und mich durch die schwere Zeit getragen. Ich habe am eigenen Leib erfahren dürfen, wie viel Trost und Kraft positive Worte und Gebete von lieben Menschen spenden und ich bin für jedes Wort, das mich erreicht hat, dankbar. Nur so habe ich geschafft, was die meisten Ärzte nicht für möglich gehalten haben: Fast zwei Jahre nach dem schlimmsten Tag meines Lebens bin ich wieder in der Lage zu laufen. Vielleicht noch keinen Ultramarathon, aber man muss ja auch noch Ziele fürs nächste Jahr haben :-).

Genießt das Leben, tanzt durch den Regen und vor allem: gebt niemals auf.

Euer Heiko.

By Ela Dannwolf 11 Jun, 2022
Wie mein Papa seinen ersten (und einzigen) Marathon finishte.
Lauf-Liebe
By manuela.dannwolf 21 Jun, 2020
Laufen ist mehr als nur ein Sport. Es ist meine große Liebe.
By Ella 26 Apr, 2020
Wie du auch in Zeiten von Corona zuhause fit bleibst!
By Ella 18 May, 2019
Übungen für Läufer mit der Koordinationsleiter
By Ella 06 Jan, 2019
Zehenschuhe im Test beim Laufen und Training.
By Ella 27 Oct, 2018
Kleingeräte-Training für Läufer
By Ella 01 Sep, 2018
Bluttest von Lykon im Selbsttest
By Ella 30 Mar, 2018
Gib niemals auf. Niemals.
By Elle La 04 Mar, 2018
Eine Geh-Eskapade.
By Ella 15 Feb, 2018
Mit Sophia, der Gewinnerin der Instagram-Challenge, spreche ich über ihre Liebe zum Laufen.
Show More
Share by: