Hasenjagd

HASENJAGD

Im März oder April, wenn die Temperaturen höher, die Tage länger und die Laufhosen kürzer werden, da beginnt im Englischen Garten die Jagdsaison. Zu dieser Zeit, wenn die Bikini-Figur ihren schlanken Schatten bereits vorwurfsvoll über die eigene Körpermitte wirft, da ölt der Münchner Hobby-Läufer seine Waden, schnallt seinen Trinkgürtel um und begibt sich auf die Pirsch durch's Schwabinger Unterholz. Meist wird er im Südteil gesichtet, denn zwischen Chinesischem Tur m, Seehaus und Eisbach, da tummeln sich um diese Jahreszeit bekanntlich die meisten Hasen. Also Waschbärbauch rein, Hühnerbrust raus und den jungen Hüpfern gezeigt, wo der Eiweißriegel hängt!

Am Anfang lässt es der gemeine Laufwolf gerne etwas ruhiger angehen. Man möchte die Beute ja nicht gleich verschrecken. Erst einmal die Lage beschnuppern, das Revier markieren und ordentlich Duftnoten hinterlassen. Wenn der Schritt dann so langsam sitzt, werden ein paar lockere Strecksprünge eingebaut. Es ist schließlich wichtig, auf freier Wildbahn Größe zu zeigen. Als nächstes dynamisches Anfersen, um die Aufmerksamkeit aufs stahlharte Hinterteil zu lenken. dann mit ausgefeilter Seithopser-Technik die Fußfertigkeit beweisen. zum Schluss im perfekten 100-Meter-Jaguar-Sprint-Stil die Lauf-Bestie entfesseln. Es darf Gorilla-mäßiges Auf-die-Brust-Klopfen folgen, denn mit Sicherheit wurde gerade der Usaine-Boltsche Weltrekord unterboten. Hätte man doch nur die Stoppuhr dabei gehabt!

Ganz schön anstrengend, so ein olympisches Tempo am Morgen. Lieber erst mal eine Trab-Pause einlegen. Schließlich möchte man sich nicht völlig verausgaben, so kurz vor der Arbeit. Also den Rest der Strecke ganz gemütlich laufen. Einmal um den Kleinhesseloher See, das reicht ja auch fürs Erste. Kräftig ein- und ausatmen und dabei profihaft die Arme schütteln. Die anderen sollen ja mitbekommen, dass man soeben Laufgeschichte geschrieben hat. Übrigens echt idyllisch, so ein See. Mit den ganzen Enten und Schwänen und Gänsen. Und wie gemütlich das Seehaus da im Morgentau liegt. Die Bierbänke sehen verdammt bequem aus. Ob man dort so früh schon einen Kaffee bekommt? 

Aber halt, was war das? Schritte von hinten! Der Lauf-Wolf wittert Gefahr. Ein Rivale ist im Anmarsch. Also Trab-Schritt beibehalten und versuchen, am eigenen Schnaufen vorbei die Distanz des Kontrahenten abzuschätzen. Kommt der etwa näher? Kieselstein-Aufschlag minus Trittfrequenz mal Windstärke dividiert durch Sonneneinstrahlung...verdammt, der kommt näher! Es bleibt keine andere Wahl: Tempo erhöhen, und das in der Trab-Pause. Mist! Wo doch jetzt die perfekte Zeit für ein wenig Hasenschau gewesen wäre! Aber egal, hier geht es schließlich um die Mannes-Ehre. Survival of the fittest und so. Dann springen die Hasen nachher von ganz alleine. Also selbst motivieren: "Ich bin der Leit-Wolf, das Alpha-Tier, die Wildsau unter den Läufern." Halt, nein, warum denn jetzt Wildsau? Ach egal, nicht ablenken lassen. Tempo steigern und vorne bleiben. Das Rudel anführen. Leader of the pack. I Robot. Der Eine-Million-Dollar-Mann. He-Man. Captain America, Rocky Balboa, der Terminator. Hat der Typ da hinten das jetzt endlich kapiert?

Doch irgendetwas scheint schief zu gehen im Laufgötter-Universum. Der Schritt wird unrund und ein japsiges Röcheln quält sich aus der Kehle. Dazu klatscht die Trinkbatterie unrhythmisch gegen die Schenkel. Jetzt bloß keine Schwäche zeigen! Unauffällig den Energie-Riegel aus dem Revers ziehen und hinter die Kiemen schieben. So ein wenig Zuckerdoping hilft immer. Schnell mit einem Schluck aus der Wasserpulle nachspülen und einmal kräftig auf den Boden rotzen, um den Gegner einzuschüchtern. und weiter geht's im Stechschritt. Blöd, jetzt ist die Trinkflasche aus der Hand gerutscht. Aber egal, ein bisschen Verlust ist immer. Also weiter, immer weiter. Man muss nur hartnäckig bleiben. So ist das eben auf der Jagd. Der Schnellere bekommt die Beute, der Langsamere muss Staub fressen. Momentan scheint es eher umgekehrt. Wie war das nochmal bei Hunden? Fallen die nicht einfach um, wenn sie zu schnell laufen? Und können Pferde wirklich nicht kotzen? Verfluchte Zwietracht, die Kiesel-Artillerie feuert immer noch von hinten. Also dem alten Gaul nochmal die Sporen geben. Weiter, du Hengst, immer weiter!

Und dann, kurz vor dem Kollaps, ebbt der Kiesel-Lärm-Terror endlich ab. Der Kampf scheint gewonnen. Was für eine herrliche Stille. Nur noch das eigene Atmen, na gut, Schnaufen, ist zu hören. Ein heroisches Grinsen beginnt sich im Gesicht auszubreiten. Der Blick wird heroisch, die Augen stählern. Mission erfüllt, Zielband durchbrochen. Siegerlächeln. Nochmal einen kurzen Blick nach hinten werfen und die Hand heben um dem Rivalen zu signalisieren: toll gekämpft. Wirklich super gemacht. Aber leider halt nur Zweiter im Ring.

Und als sich der Laufwolf gerade so richtig schön im tapfer erkämpften Etappensieg suhlen möchte, genau in dem Moment springt von hinten etwas an ihm vorbei. Auf leisen, asphaltgedämpften Sohlen: eine junge Lauf-Häsin. Augenzwinkernd überreicht sie ihm seine Trinkflasche: "Sie haben da etwas verloren", zwitschert sie fröhlich, schlägt neckisch ein paar Haken, um dann mit wippendem Pferdeschwanz leichtfüßig hinter der nächsten Wegbiegung zu verschwinden.

Da steht es nun, das Schaf im Wolfspelz, und krazt sich am Bart. Was war da bloß wieder schief gelaufen? Gab es früher nicht feste Regeln? Wolf jagt Hase, Hase jagt Wolf, Hase gegen Igel, oder wie jetzt?! Muss man sich eigentlich den Wolf laufen, wenn am Ende immer der Igel gewinnt? Ach, egal! Erstmal hinknien und Schuhe binden. Hilft im Zweifelsfall immer.

Und wenn unser Lauf-Wolf nicht gestorben ist, dann versucht er heute noch den Hasen zu fangen. 
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